150 Jahre Eisenbahnstrecke Annaberg - Weipert - Komotau

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150 Jahre Eisenbahnstrecke Annaberg - Weipert - Komotau

Vieles gäbe es über diese Eisenbahn zu berichten, sind 150 Jahre doch eine sehr lange Zeit. Ich möchte mich aber als Ortschronist von Bärenstein dennoch mehr auf unsere Heimatbahnhöfe Bärenstein und Weipert mit den dazugehörigen Haltepunkten beschränken - alles andere würde den Rahmen folgender Aufzeichnungen sprengen.

Sofort nach Inbetriebnahme der Zschopautalbahn von Chemnitz nach Annaberg, im Jahre 1866, wurden erste Stimmen für eine Fortführung der Strecke laut. Die immer weiter ansteigende Industrialisierung der Städte Chemnitz und Annaberg sowie deren Umfelder benötigte dringend die böhmische Braunkohle aus den Revieren Brüx, Dux und Ossegg. Dieser Aspekt machte den Bau einer Verbindungsbahn über das Erzgebirge unumgänglich. Die Strecke sollte von Annaberg aus die Landesgrenze in Bärenstein queren und in das böhmische Weipert gelangen. Von dort plante man dann die Weiterführung über den Erzgebirgskamm bis hinunter in die Stadt Komotau. Dort sollte die Strecke auf die "Aussig-Teplitzer Eisenbahn" (ATE) aufzweigen. Recht anspruchsvolle Bauwerke sollte es auf der Strecke nicht geben und doch stellte der Bahnbau damals große Anforderungen an die Planer und Ingenieure. Mittels zweier großer Viadukte galt es, das Sehmatal in Cranzahl und das Pöhlbachtal in unserem Heimatort zu überwinden. Die größte Herausforderung aber oblag den österreichischen Eisenbahnpionieren. Sie mussten auf nur 23 km Streckenlänge einen Anstieg von etwa 400 Höhenmetern überwinden. Während man in Sachsen allmählich gegen die Flusstäler anstieg, hatte man doch auf böhmischer Seite gegen den rasch abfallenden Steilhang des südlichen Erzgebirges zu kämpfen. Eine bautechnische Hürde also, von der man in Annaberg im Jahre 1866 noch nichts ahnte.

Ein zu Annaberg neugegründetes Komitee erwirkte bereits am 28. August 1865 von der österreichischen Regierung die Erteilung einer Konzession für den Bau einer "Sächsisch-Böhmischen Verbindungsbahn". Durch den Krieg von 1866 erlosch diese Konzession aber wieder. Bereits zum 1. Juli 1868 erhielt die Buschtehrader Eisenbahn erneut eine Konzession zum Bau einer Eisenbahnstrecke von Komotau nach Weipert. Unter Beisein der begeisterten Bevölkerung wurde am 18. August 1869 der erste feierliche Spatenstich in Weipert vollzogen und die Bauarbeiten rasch aufgenommen. Riesige Erdmassen galt es zu bewegen und etliche Sprengungen des Gesteins waren erforderlich. Die Felswände an den Bahnhöfen Bärenstein und Weipert zeugen noch heute davon. Das abgetragene Felsgestein am Bahnhof Weipert wurde sofort für die Dammaufschüttung, am böhmischen Widerlager, der großen Bahnbrücke verwendet.

Das Königreich Sachsen verpflichtete sich, bis zum 1. Juli 1871 die Strecke nach Annaberg fertigzustellen. Für den Streckenbau gründete das Annaberger Eisenbahnkomitee die Gesellschaft der Sächsisch-Böhmischen Verbindungsbahn. Selbige erhielt am 19. April 1870 die Konzession zum Streckenbau von Weipert bis nach Annaberg. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 sowie der strenge Winter 1871 verzögern die für 1871 vorgesehene Fertigstellung der Grenzstrecke. Selbst der ständige Felsabbruch am Kühberger Einschnitt hindert die geplante Eröffnung, zwingt die Bauingenieure zum Bau einer künstlichen Untertunnelung und wirft den Bau um ein Jahr zurück.

Am 28. August 1871 erfolgte die feierliche Schlusssteinlegung der Eisenbahnbrücke über das Pöhlbachtal, worauf dann zügig die Belastungsprobe des Bauwerkes folgte. Am 29. Dezember 1871 erreichte eine mit Girlanden geschmückte Lokomotive, aus Komotau kommend, den Bahnhof Weipert. Ihr folgte am 7. Januar 1872 ein Schotterzug aus Komotau, dessen Ladung zum Schottern der Gleise in Weipert Verwendung fand. Am 12. Mai 1872 fuhr der erste planmäßige Lastenzug in Weipert ein und der Güterverkehr galt eröffnet. Unter großer Anteilnahme eines äußerst begeisterten Publikums traf am 1. August 1872 der erste planmäßige Personenzug in Weipert ein, welchem in den Vormittagsstunden ein Reisezug aus Annaberg folgte. Bärenstein und Weipert hat nun endlich seine Eisenbahn - eine erste Verbindung über das Erzgebirge, von Sachsen nach Böhmen, war erschaffen worden. Der Bahnhof Weipert wurde Grenzbahnhof und verfügte über ausgedehnte Anlagen, welche beiderseits als Gemeinschaftsbahnhof genutzt wurde. Das riesige Bahnhofsgebäude wurde von beiden Bahnverwaltungen genutzt. Gütermagazine, Fahrkarten- und Gepäckschalter sowie Wagenmeisterunterkünfte - alles war in doppelter Ausführung vorhanden. Selbst die Lokunterstände mit vorgelagerter Drehscheibe war für beide Bahnverwaltungen zweifach ausgeführt. Schlagartig kam es nun zu einem regen Wagenaustausch, wobei Weipert als Zentralbahnhof fungierte und Bärenstein nur eine untergeordnete Rolle spielte. Die Güterzüge, von Annaberg kommend, durchfuhren Bärenstein ohne Halt und die Weiperter Rangierlok brachte dann die Bärensteiner Güterlast von Weipert herüber. Durch die stetig wachsende Industrialisierung stieg der Güter- und Reiseverkehr auf der Strecke ständig weiter an.

Einen ersten herben Rückschlag erlitt der Betrieb auf der Strecke im Jahre 1875. Mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie Reitzenhain - Krima gerät die Verbindung über Weipert sofort in das Defizit. Die Strecke von Chemnitz via Reitzenhain nach Komotau ist 25 km kürzer als über Weipert. Nun drohte der Weipertbahn der Konkurs. Die Gesellschaft der Sächsisch-Böhmischen Verbindungsbahn kam zur Auflösung und die Strecke ging in den Besitz der Königlich-Sächsischen Staatsbahn über. Durch die Verstaatlichung wurden die Defizite ausgeglichen und ein Weiterbetrieb sichergestellt. Die aufblühende Industriestadt Weipert brauchte doch den Anschluss an das Eisenbahnnetz dringend.

Am 15. Dezember 1896 wurde der Haltepunkt Kühberg eröffnet und am 1. Mai 1909 hält erstmals der 5:00 Uhr in Weipert abgehende Zug an der neuen Haltestelle Weipert - Neugeschrei. Im gleichen Jahre erleuchtete erstmalig das elektrische Licht den Bahnhof Weipert und Bärenstein erhielt im Jahre 1915 ein neues Stationsgebäude.

Weipert blieb nach wie vor Umsteigebahnhof für die Personenzüge, lediglich einige Durchgangsgüterzüge wurden in Weipert nur umgespannt. Letztendlich wurden etliche Güterzüge auch aufgelöst und durch Rangierloks neu gebildet. Mit Beendigung des Ersten Weltkrieges im Jahre 1918 bricht die Donaumonarchie zusammen und die Tschechoslowakische Republik (CSR) wurde gegründet. Im Jahre 1920 übernahm die Deutsche Reichsbahn (DR) die Strecke von Weipert nach Annaberg. Der Betrieb von Weipert nach Komotau lief noch bis 1923 unter Regie der Buschtehrader Eisenbahn. Ab dann ging der Betrieb in die Tschechisch-Slowakische Staatsbahn (CSD) über. 1928 wurden die Gleisanlagen in Weipert erweitert und ca. 600 Werktätige fuhren werktags über die Grenze nach Sachsen und wieder zurück. Gleichzeitig pendelten dazu ca. 800 Arbeiterinnen und Arbeiter aus Sachsen nach Weipert.

Große Veränderungen brachte der Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich im Jahre 1938. Der gesamte Betrieb und sämtliche Anlagen und Gebäude gingen in den Bestand der Reichsbahndirektion Dresden über. Waren es anfangs Lokomotiven der Reihe sächsische VT, so kamen später die Baureihe 38 für die Personenzüge zum Einsatz. Den Güterverkehr erbrachten Lokomotiven der Baureihen (BR) 55, 57 und 86; über Einsätze der BR 50 und 52 ist nichts bekannt. Auf tschechischer Seite war die Reihe 524 heimisch.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges endete auch der grenzüberschreitende Eisenbahnverkehr und der 28. Mai 1945 gilt als letzter Betriebstag. Für ganze 48 Jahre fallen die Einfahrsignale von Bärenstein und Weipert auf Halt. Dieser Umstand hatte für den Betrieb der Reichsbahn gravierende Probleme zur Folge. Bärenstein wurde Endstation der Zschopautalbahn und konnte dieser Aufgabe nur schwer gerecht werden. Mit nur einem Haupt- und Ladegleis fehlte es an einer Umfahrung. Was in Weipert völlig problemlos gelang, wird in Bärenstein zu einer Tortur. Ständig ankommende Züge unterbrechen immer wieder die Ladearbeiten am Gleis 1. Schwierig auch für das Lokpersonal war der Umstand, dass die Lokbehandlungsanlagen im 900 m entfernten  Weipert unerreichbar geworden sind. In Bärenstein gab es kein Dampflokwasser; die Heizer mussten im Ladegleis ausschlacken und die Schlacke per Hand schaufeln. Mangels Drehscheibe mussten auch alle Züge Bärenstein mit Tender voraus verlassen. Erschwerend kam zu diesem Umstand noch der stark frequentierte Wismut-Verkehr ab 1947 dazu. Selbst der Einbau des Gleises 4 konnte kaum Abhilfe schaffen.

In Weipert lief der Betrieb in gewohnter Art und Weise weiter. Bereits in den 1950er Jahren wurden die dampfbespannten Reisezüge auf Dieseltriebwagen der Reihe 131 umgestellt und nur die Güterzüge waren vorerst noch mit Dampf bespannt. Die Lokbehandlungsanlagen auf böhmischer Seite waren dem Verfall preisgegeben und es wurden nur noch die ehemaligen Reichsbahnanlagen genutzt. Im Jahre 1967 war der tägliche Postzug nach Weipert noch von einer Dampflok bespannt; danach hielt die Diesel-Traktion Einzug. Die Lokomotiven der Reihe 720 übernahmen nun den Güterverkehr.

Ab 1966 übernahm die Reihe 86 von den Lokomotiven der BR 38 den Personenverkehr auf der Zschopautalbahn und seit der Wismutzeit war nun auch die BR 58, eine schwere Dreizylindermaschine, anzutreffen. Durch den sehr desolaten Oberbauzustand der Fichtelbergbahn sollte diese um 1965 stillgelegt werden. Sämtliche Gebäude am Bärensteiner Bahnhof wollte man abbrechen und dafür noch mehrere Gleise anlegen. Der Personenverkehr sollte eingestellt werden und Bärenstein sämtlichen Güterverkehr der Schmalspur übernehmen. Dazu ist es aber nie gekommen.

Ende der 1960er Jahre kam es zur dauerhaften Einstellung des Nachtzugverkehres nach Bärenstein, während auf tschechischer Seite die Nachtzüge rege weiterverkehrten. Zum Sommerfahrplan 1974 endete der Dampflokeinsatz nach Bärenstein endgültig und sämtliche Reisezüge übernahm die BR 110. Den Güterverkehr teilten sich die BR 106 und die 118. In Weipert verkehrten später dann die Triebwagen der Reihe 810 und ab ca. 1980 übernahmen die Lastenzüge die Lokomotiven der Reihe 742.

Die „Erdölkrise“ (Anfang der 1980er Jahre) brachte ein letztes großes Aufbäumen im Güterverkehr und nach 1990 endete das alles in einem großen Zusammenbruch. Dafür mehrten sich aber immer mehr Stimmen für eine Wiedereröffnung des Eisenbahngrenzüberganges. So kam es dann, dass am 1. August 1993 der Zugverkehr zwischen Bärenstein und Weipert nach 48 Jahren wieder aufgenommen wurde. Nach alter Vorschrift oblag der deutschen Seite wieder der Verkehr über die Grenze. Schnell wurde der Grenzverkehr zur Gewohnheit und rege genutzt. Gleichzeitig sollte aber auch der Güterverkehr aufgenommen werden; Pläne von mehreren Tausend Tonnen täglich waren bereits dafür vorgesehen. Deshalb wurde die große Bahnbrücke im Sommer 1997 aufwändig saniert, der Güterverkehr aber blieb Utopie. Im November 1997 wurde Bärenstein vom Bahnhof zum Haltepunkt herabgestuft und nur das durchgehende Streckengleis verblieb. Cranzahl übernahm - bis heute - die Aufgaben als Grenzbahnhof. Den Reiseverkehr übernahmen daraufhin Triebwagen der BR 628 und nach 2003 die BR 642 der DB Erzgebirgsbahn. Um das Jahr 2000 erfolgte ein letzter Güterverkehr in Form von Kohlezügen für die Fichtelbergbahn. Im Zuge der Streckensanierung zwischen Cranzahl und Bärenstein ist auch der Haltepunkt Kühberg aufgelassen worden. Am bestgelegenen, zentralen Haltepunkt durften eben keine Züge mehr halten. Im Jahre 2007 gab es zwischen Komotau und Weipert keinen Wochenverkehr mehr und nur an Wochenenden verkehrten noch Züge nach Weipert. Josef Durna war der letzte Fahrdienstleiter, welcher Weipert noch an Wochenenden besetzte. Im Dezember 2014 beendete die Erzgebirgsbahn ihren Betrieb nach Weipert dauerhaft und auch Weipert wurde zur unbesetzten Bahnstation. Sämtliche Aufgaben gingen in den Bereich des Bahnhofes Komotau über.

Bei all diesem Niedergang ist es trotzdem erfreulich, dass es noch bis heute einen Sommersaison-Wochenendverkehr gibt und zurzeit auch der Güterverkehr auf tschechischer Seite wieder sporadisch angelaufen ist. Am meisten aber freut mich, dass dieser „Stählerne Pfad“ noch immer durchgängig befahrbar ist und heuer seinen 150. Geburtstag begehen durfte. Was die Zukunft bringt, wissen wir alle nicht -  aber eins ist gewiss: In nächster Zeit werden wir die Werte unserer Vorfahren wieder schätzen lernen müssen!

Abschließend möchte ich aber noch an all die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner erinnern, die diszipliniert und verantwortungsbewusst in diesen 150 Jahren ihren Dienst hier getan haben. Einen Dienst, der weder Tag noch Nacht unterscheidet und weder Werktag, Wochenende oder Feiertag kennt. Stellvertretend für alle Eisenbahner möchte ich hier CLAUS PETZOLD nennen. Claus war ein ganz pflichtbewusster Eisenbahner und ist vielen von uns noch als Bahnhofsvorsteher von Bärenstein in guter Erinnerung. Ich habe einen großen Teil meiner Kindheit bei ihm auf dem Bahnhof verbracht und durfte noch als junger Lokführer mit ihm zusammenarbeiten. Geblieben ist eine Erinnerung an eine Epoche, die es so nie wieder geben wird.

Uwe Schulze
Ortschronik